HANNOVER (dpa-AFX) - Die Industriebetriebe in Europa sind einer Studie zufolge nur unzureichend auf Hackerangriffe vorbereitet. Nur 2 Prozent der Unternehmen seien hier bestmöglich aufgestellt, bei 17 Prozent könne man immerhin von einem guten Schutz sprechen, heißt es in einer Studie des Netzwerk-Ausrüsters Cisco vor der am Montag beginnenden Hannover Messe (22. bis 26. April). Bei mehr als 80 Prozent der Firmen bestehe dagegen Handlungsbedarf. Im Vergleich mit anderen Branchen liege die Industrie hier nur im unteren Mittelfeld. Die besten Werte ermittelte Cisco für Technologie-Anbieter, wo immerhin 28 Prozent gut oder sehr gut vorbereitet seien, gefolgt von der Finanzbranche mit 23 Prozent. Auch im weltweiten Vergleich schneide Europas Industrie schlecht ab. In den USA seien 29 Prozent der Industriebetriebe gut oder sehr gut gegen Cyberattacken gerüstet, 10 Prozentpunkte mehr als in Europa. Am schlechtesten schnitten in Europa Bildungseinrichtungen und das Gesundheitswesen ab. "Das sind erschreckende Daten", sagte Christian Korff, Mitglied der Geschäftsführung bei Cisco in Deutschland, der Deutschen Presse-Agentur. "Die europäische Industrie hat hier eindeutig Nachholbedarf, denn sie ist an vielen Stellen leicht verwundbar." Das könne zur ernsten Gefahr für den Standort werden. "Eine ausreichend gute Cyberabwehr kann heute über das Fortbestehen von Unternehmen entscheiden", so der Manager, der auch Leiter der Bundesfachkommission "Künstliche Intelligenz und Wertschöpfung 4.0" im Wirtschaftsrat der CDU ist.Eigenwahrnehmung oft besser als die Realität Für die Untersuchung hatte Cisco im Januar und Februar weltweit mehr als 8000 Führungskräfte aus Unternehmen befragt, davon knapp 2000 in Europa. 214 kamen aus der Industrie. Dabei habe sich auch gezeigt, dass sich die eigene Wahrnehmung der Unternehmen oft nicht mit der realen Gefahr decke. Fast 80 Prozent der befragten Manager in Europa hätten erklärt, sie seien zuversichtlich, im Kampf gegen Cyberattacken bestehen zu können. Zugleich rechneten 72 Prozent damit, dass es bei Ihnen in den nächsten ein bis zwei Jahren zu einer Unterbrechung des Betriebs wegen einer Cyberattacke kommen werde. "Das ist schon beeindruckend", merkte Korff an. "Die Unternehmen fühlen sich relativ sicher, obwohl sie relativ schlecht vorbereitet sind." Vorfälle wie an der Uni Gießen, die nach einem Hackerangriff Ende 2020 monatelang offline war, zeigten, welche Gefahren drohten. "Wenn uns das im Herstellungsbereich passiert, dann brauchen wir uns um globale Lieferketten keine Gedanken zu machen. Dann steht hier die Produktion", warnte Korff. Auch der Zulieferer Continental war im vergangenen Jahr Opfer einer Cyberattacke geworden, bei der Daten abgegriffen wurden. Beim Hörgerätehersteller Kind lag im Februar die zentrale Konzern-IT für mehrere Tage lahm, nachdem Hacker in das System eingedrungen waren.Maschinen laufen oft noch auf Windows 95 Grund für das schlechte Abschneiden vieler Industriebetriebe sei vor allem die Langlebigkeit vieler Produktionsanlagen, sagte Korff. "Herstellungsprozesse werden ja schon seit 30 Jahren elektronisch unterstützt. Da läuft als Betriebssystem zum Teil noch Windows 95 oder 98. Die sind natürlich nicht auf dem Stand der Technologie." Und sie seien auch nur schwer nachzurüsten. "Die alten Betriebssysteme und die vorhandenen Maschinen machen es extrem schwer, hier Sicherheitstechnologie einzubauen." Etwas besser sehe es beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) aus. 34 Prozent der Industrie seien hier gut oder sehr gut aufgestellt. Wirklich zufrieden könne man damit aber nicht sein, sagte Korff. Zwar hätten 64 Prozent der Betriebe eine KI-Strategie, doch nur 34 Prozent hätten auch die technische Infrastruktur, um KI wirklich einsetzen zu können. "Und wenn ich sehe, dass ein Drittel der Industrie-Unternehmen noch keine KI-Strategie haben, dann wird mir angst und bange", fügte Korff hinzu. Schließlich gehe es hier um die wohl wichtigste Schlüsseltechnologie der Zukunft. "Die Fertigungsindustrie muss aufpassen, dass sie die beiden technologischen Megatrends Cybersicherheit und KI nicht verschläft - das gilt für Europa und Deutschland", warnte Korff. Sonst sei die Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. "Das ist existenziell für die deutsche und europäische Wirtschaft. Wenn wir nicht in der Lage sind, KI zu nutzen, uns aber gleichzeitig auch vor KI-Angriffen zu schützen, dann werden wir die nächste Dekade nicht überstehen."/fjo/DP/jha